Beschreibung
Wo sind wir, wenn wir von Freunden in Kairo, Bangalore oder New York Bilder und Stimmen über Skype empfangen und in diese fernen Welten eintauchen? Was erfahren wir von deren Umwelt und wie wirkt sie auf unsere Wahrnehmung, unser Selbstverständnis?
INTERCORPOREAL SPLITS untersucht in drei Skype-Performances zwischen Ägypten, Indien und Deutschland – durch Zusammenarbeit von Tänzern, Medienkünstlern, Soziologen, Psychosomatikern, Musikern und Philosophen – wie sich unsere Art miteinander in Beziehung zu treten durch digitale Medien verändert.
Präzise Einführungen, Erfahrungsberichte der teilnehmenden Künstler und Wissenschaftler sowie ein grundlegender theoretischer Teil zu den Bereichen : Stimme, Haut und Rhythmus.
Fragen der Forschung, zugespitzt in künstlerischen Settings, um Freiraum zu schaffen für eigene Wahrnehmung, Emotion und Interaktion.
Leseprobe
Tasten ist tabu, aus Jean-Luc Nancy: Essentielle Haut
Kein Tabu ist verbreiteter als das des Berührens, von den zahlreichen und komplexen Regeln aus bestimmten rituellen Kodizes (Berührung von Toten, von heiligen Gegenständen, von Körperteilen, von Kleidern usw.) bis hin zu den heutigen Regeln des körperlichen Kontakts (zum Beispiel der einfache, zufällige Kontakt von Händen in der Menge). In einem gewissen, weiten Sinn kann man sogar sagen, dass das Tabu einem Berührungsverbot gleichkommt. Es ist wohl kein Zufall, dass Marcel Duchamp sein Brust-Reliefbild auf dem Deckblatt eines Ausstellungskatalogs Bitte berühren genannt hat.
Berühren impliziert immer mehr und weniger als das, was mit dem Wort ›Kontakt‹ evoziert wird. Mehr, weil der Kontakt sich auf ein Verbindung-Herstellen beschränkt – aus diesem Grund kann der Ausdruck einen technischen und sachlichen Sinn haben –, während beim Berühren eine Inti-mität beginnt oder zumindest evoziert wird. Es impliziert aber auch weniger, sofern der Kontakt eine Übertragung (von Information oder von Energie) gewährleistet, im Gegensatz zum Berühren, das nichts Bestimmtes mitteilt: es nähert sich, es ver-sucht, es er-tastet oder be-fühlt (tâter). Letzteres Verb bedeutet zugleich durch das Berühren empfinden und sanft berühren, während ertasten (tâtonner) ein zögerliches Berühren durch jemanden bezeichnet, der sich zu orientieren versucht, ohne irgendwas zu sehen.
Berühren gräbt sich in die Dunkelheit. Unter meinen Fingern wird die Helligkeit des Körpers des Anderen in die Finsternis verwandelt, die zwischen unserer Haut entsteht. Diese Nacht haben wir gemeinsam, sie fügt uns zusammen und trennt uns zugleich. Berühren schafft niemals die Distanz zwischen uns ab, sondern wandelt den Abstand in Annäherung um. Nicht in Kontakt, sondern in Annähern. Nicht in Präsenz, sondern in Erscheinen. Nicht in Hier-Sein, sondern in eine Art Hier-Vorbeigehen, Herumgeistern, Verkehren (fréquenter) – ein seltsames Wort ist dieses französische Verb (spanisch, italienisch, manchmal aus dem Englischen importiert), das seine Bedeutung von große Anzahl, Menge, Versammlung zu der von wiederholte, regelmäßige Beziehungen verschoben hat, und schließlich (in einer etwas veralteten Sprache) die verliebte [im Deutschen bis: sexuelle] Annäherung bedeutet (zwischen den Hof machen und mit jemandem ausgehen, wie man heute sagt).
Der Tastsinn ›verkehrt‹ mit der Haut: Er kommt ihr näher, er besucht sie – sowohl im Sinne von anschauen, prüfen als auch im Sinne von respektieren, sich anpassen. Der Tast-Sinn ist ein sich seinem Objekt völlig anpassender Blick und entzieht es folglich der Objektivität des Sichtbaren; er stellt das Objekt nicht mehr vor sich, sondern ganz nah an sich/neben sich. Die Haut vermählt sich mit der ihr nahen anderen Haut, ist fest mit ihr verbunden, passt sich an ihre Linien an, an ihre Modellierungen, an die leichten, flüchtigen Gedanken, deren Parfums sie umschweben. Hier ist das Tabu, es liegt im hochsensiblen Abstand zwischen den Membranen, im Zwischenraum, in dem die sehr hohe Frequenz des Intimen unaufhörlich vibriert, d. h. in diesem Superlativ des Inneren, den nichts übertreffen kann mit Ausnahme eines qua Definition unmöglichen Komparativs: interior intimo meo. Es ist der Gott von Augustinus, aber es ist klar, dass diese Formel während einer Liebkosung gefunden wurde.
Das Tabu sagt: Berühr mich nicht, berühr in mir etwas, das weiter ist als (m)ich.
So schreibt Marcel Proust: »Meine Blicke ruhten auf ihrer Haut und meine Lippen konnten allenfalls glauben, dass sie meinen Blicken gefolgt waren. Am liebsten hätte ich nicht nur ihren Körper erreicht, sondern auch die Person, die in ihm wohnte und mit der es nur eine Art Berührung gibt, nämlich ihre Aufmerksamkeit wecken, und nur eine Art Eindringen, in ihr eine Idee erzeugen.«
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