Beschreibung
Kit Brandon, eine junge Frau Ende zwanzig, erzählt einem Reporter ihre Geschichte. Kit flieht während der Prohibitionszeit (1920–1933) aus der scheinbaren Idylle des amerikanischen Appalachen-Gebirges. Vor der Armut ihrer Familie, die sich nur mit verbotener Schwarzbrennerei über Wasser halten kann. In der Stadt arbeitet sie in Textilfabriken, die gerade die Kohleindustrie ablösen, nun aber am Weltmarkt selbst in eine Krise taumeln.
Sie jobbt in einem Laden, bildet sich weiter. Als sie erkennt, dass sie sich auch damit nicht über Wasser halten kann, steigt sie in den Alkoholschmuggel ein. Zuerst ganz unten, heiratet sie den Sohn eines Bosses der sich gerade organisierenden Kriminalität – und wird selbst zu einer Legende, als sie als »Bonnie ohne Clyde« die Behörden ein ums andere Mal austrickst. Getrieben von der Sehnsucht nach schnellen Autos, Kleidern und etwas Geld. Und einer Arbeit, »die sie nicht von anderen trennt.«
Kit Brandon, Andersons Roman aus dem Jahr 1936, zeigt, was man braucht, um in den Vereinigten Staaten erfolgreich zu sein: eine gehörige Portion Unverfrorenheit, Zielstrebigkeit bis zur Skrupellosigkeit und ein heißes, wildes Herz, das sich nicht vom Ziel abbringen lässt. Es ist das Porträt einer großen Heldin – und einer ganz normalen modernen Frau – erzählt aus Erinnerungssplittern, fast ausschließlich in ihrer eigenen, oft ungeschliffenen, lebendigen Sprache voll starker Bilder.
Band 3 unserer neuen BACKUP-Reihe, die Klassiker in moderner Gestaltung präsentiert. Mit rotem Leinen, Hardcover, farbigem Vorsatzpapier und Lesebändchen. Mit Anmerkungen, kurzem Nachwort und einem Essay von Virginia Woolf zu Sherwood Anderson und zur amerikanischen Literatur.
Band 1 der BACKUP-Reihe: Geschichten, die keine sind von Robert Musil
Band 2 der BACKUP-Reihe: Der Sandmann von E.T.A. Hoffmann
Leseprobe
Sie redete von all den Menschen in der Welt, die man, so sagte sie, einfach zur Hölle schicken sollte, auf die man sich nicht verlassen, die man ausnutzen sollte, wo und wann immer man konnte. Nicht zum ersten Mal während der Zeit mit Kit dachte ich, dass sie unter anderen Umständen vielleicht zu denen von uns gehört hätte, die eine Erfolgsgeschichte erzählen konnten, als zweiter Rockefeller, Harriman oder Gould.
»Da ist das ganze Gesocks mit dabei«, sagte sie. »Du schüchterst diese Bastarde ein, verarschst sie, oder, wenn du sie für deine Zwecke gebrauchen kannst, schmierst du ihnen Honig ums Maul oder machst ihnen schöne Augen.«
»Auch wenn dir manche davon völlig egal sind ?«
»Gerade dann«, sagte sie.
Wir hatten an einer kleinen Landkirche gehalten, die in den Weiten des Westens durch einen Sturm, vielleicht einen Tornado, von ihrem Fundament losgerissen worden war, die Fensterscheiben der kleinen Holzkirche alle zerbrochen, das Dach halb abgedeckt.
So eine merkwürdig armselige kleine Kirche, draußen in den windigen Weiten von South Dakota.
Und dazu Kit, so ein ordentliches, schlankes, gepflegtes Ding, am Steuer meines Autos sitzend. Sie hatte den Wagen angehalten und mir einen schnellen Blick zugeworfen.
Sicher, wenn ich von dem ausging, was ich über sie wusste, was mich an ihr als sonderbares amerikanisches Phänomen interessiert hatte, war mir klar, dass sie, die ihr Leben so lebte, wie sie es eben lebte, so lange mit den Männern verkehrte, mit denen sie verkehrte, unmöglich das sein konnte, was Männer meinen, wenn sie von einer reinen Frau sprechen. Gleichzeitig sah sie so sauber aus – in ihrem schwarzen Pullover und einer Art schwarzem Strickrock. Ihre schlanken Knöchel. Ihre gute Figur.
»Gerade dann«, sagte ich, als sie den Wagen anhielt und sich die zerstörte Kirche anschaute. »Was meinst du damit, Kit – gerade dann?«
Die Leser werden sich erinnern, wie sie über ihre Mutter sprach, wie ihr Vater die Mutter behandelte, über seine Gleichgültigkeit. Sie rechtfertigte das und sagte auf ihre Art, so dachte ich, dass man, um das Leben, wie es ist, überhaupt leben zu können, sich Selbstachtung verschaffen müsse, als eine Art Grundlage. ›Du musst stark sein, manchmal sogar gnadenlos‹, wollte sie offenbar sagen.
»Und eine Frau, die das macht, Kit, eine Frau, die ihre innere Stärke einsetzt … ihre Stärke könnte ja auch ihre körperliche Schönheit sein … wenn sie das nutzt, um Männer zu bekommen, und die alles tun, was sie will ? Gerade dann – du meinst aber nicht, dass sie alles einsetzt, einfach so, damit sie am Ende selbst profitiert. Auch ihren eigenen Körper ?«
»Doch«, sagte sie, »ich habe das mit Männern gemacht, die mich heute null interessieren. Ich dachte, ich müsste das. Wahrscheinlich ist es einfach so geschehen, das hat für mich funktioniert.«
Kit betrachtete, so schien es mir – als ich mit ihr diese intimen Gespräche führte – das Leben immer als eine Art Spiel.
»Herrgott nochmal, Kit.«
»Meine Güte, jetzt mach mal keine Szene«, sagte sie. »Das läuft doch jeden Tag so, oder jedenfalls jede Nacht, bei einer Menge Frauen, die du kennst, in den angesehensten Familien. In den ›besten Kreisen‹. Denkst du, wir Frauen wissen das nicht ?«
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